Profi an der Keule

Profi an der Keule

TEXT: NINA ESSER | FOTOS: VOLKER NOTHDURFT

Was der Barista für den Kaffee und der Sommelier für den Wein ist, das ist der Cortador für den perfekt geschnittenen Schinken. Reiner Reutzel, Fachberater für Fleisch und Wurst bei Selgros, trägt diesen Genusstitel mit Stolz und Leidenschaft.

In Spanien ist der Beruf des Cortador de Jamón hoch angesehen und genießt eine ähnliche Wertschätzung wie Matadore und Sterneköche. Die Cortadores leben ausschließlich für diese Leidenschaft und Kunst und sind eine absolute Attraktion auf Hochzeiten, Familienfeiern und Events jeglicher Art.
 

Jeder von ihnen ist bestrebt, die dünnsten Scheiben zu schneiden, die schönsten gelegten Teller zu präsentieren und zu den spanischen Champions zu zählen.

Um Cortador zu werden, durchläuft man eine Ausbildung, in der man erlernt, wie man einen solchen Schinken mit Knochen von Hand, sprich mit einem Messer, schneidet. Außerdem erfährt man viel Wissenswertes über den Schinken, dessen Herstellungsart sowie die richtige Reifung und Lagerung. Doch nicht nur das, auch die anschließende Präsentation der Produkte auf dem Teller spielt in der Ausbildung eine große Rolle. Um „Maestro Cortador“ zu werden, bedarf es jahrelanger Übung und Training. Schließlich gibt es sogar Meisterschaften der Maestros Cortadores de Jamón.

Reiner Reutzel, Fachberater für Fleisch und Wurst bei Selgros, war einer der ersten Deutschen, der diese Spezialausbildung absolvierte. Für den gelernten Metzgermeister, Diplom-Fleischsommelier, Meister- Fleischsommelier und Wurst-und- Schinken-Sommelier ist der Titel „Cortador de Jamón“ das i-Tüpfelchen.

„Einem Cortador geht es nicht nur um den fachmännischen Schnitt. Er zelebriert den gesamten Vorgang. Das beginnt schon beim richtigen Einspannen des Schinkens in den Standfuß, den Hamonero. Das Öffnen des Schinkens ist gleichbedeutend einer Ouvertüre und endet beim kunstvollen Drapieren der Schinkenscheiben“, erklärt uns Reiner Reutzel mit genussvollem Schmunzeln.

Warum der manuelle Schnitt so entscheidend ist, hat einen einfachen Grund. „Elektrische Schneidemaschinen arbeiten mit einer bestimmten Drehzahl. Die dabei entstehende Reibung erhöht die Temperatur des Schneidguts. Dadurch erwärmt sich die Speckauflage des Schinkens und wird über den gesamten Schnittbereich verteilt, wodurch das Schnittbild versiegelt wird und der Schinken an Aroma einbüßt. Das Ziel, aus dem Schinken sein Umami, den berühmten fünften Geschmackssinn herauszukitzeln, erreicht man am besten mit dem Schneiden per Hand“, so der Cortador.

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Die Ruhe, mit der Reiner Reutzel den Schinken zunächst „öffnet“ und dann behutsam bearbeitet, hat schon fast etwas Meditatives. Scheibe für Scheibe schneidet er dünne, gleichmäßige Scheiben und achtet immer darauf, dass der Schinken eine gerade und horizontale Schnittfläche hat. Einen Bogen in das Fleisch zu schneiden, wäre ein absolutes No- Go. Es braucht mehrere Jahre und viel Praxis, bis man die Technik beherrscht. „Man muss viele Schinken schneiden, bevor man ein echter Cortador ist“, sagt der 57-Jährige.

In Deutschland gibt es rund 50 zertifizierte Cortadores und Cortadoras, Tendenz steigend.

Derzeit wird die Weiterbildung, die Reiner Reutzel 2020 absolvierte, nur an der Fleischerschule in Augsburg angeboten. Doch Reiner träumt davon, die Ausbildung in Spanien noch einmal zu wiederholen.

Profi an der Keule - Reiner und der Schinken

Drei Fragen an Reiner Reutzel

Warum bist du Cortador geworden?

Die Kunst des Schinkenschneidens erlebte ich, wie die meisten Menschen, erstmals als Spanienurlauber – und von da an spukte mir das im Kopf herum. Als Hobbyrepräsentant und Markenbotschafter für das Consorcio del Jamón Serrano eröffnete sich mir die Chance, mit Unterstützung eines Dolmetschers des spanischen Generalkonsulats den Cortador am Basque Culinary Center (BCulinary Alumni) zu absolvieren. Wenn dich diese Leidenschaft gepackt hat, gibt es kein Zurück mehr. Wir reden von kulinarischen Köstlichkeiten, die das Niveau von Kaviar, Champagner und Trüffel haben. Leider hat mir Corona einen Strich durch die Rechnung gemacht. Zum Angebot, das Seminar „Cortador“ an der Augsburger Fleischerschule zu machen, konnte ich daher nicht Nein sagen. Aber BCA in San Sebastián wird zusätzlich noch kommen, dessen bin ich mir sicher.

Was muss ein guter Cortador können?

Ein guter Cortador muss auch ein guter Jamonero sein, ein spanischer Schinkenspezialist, der zu jeder Zeit zu einem Schinken eine fachliche Expertise abgeben kann. Ein Cortador ist ebenso dafür da, Genusskombinationen anzubieten, das sogenannte Foodpairing. Dass ein guter Schinken auch ohne Brot schmeckt, ist bekannt. Ein guter Cortador serviert aber einen Consorcio Serrano mit 24 Monaten Reifezeit auch gerne auf geröstetem Brot mit weißem Balsamico, dazu ein Gläschen Champagner oder einen trockenen Cava. Zum 48er Jamón Ibérico mit sehr intensivem Schinkenbouquet darf es auch ein Rioja Gran Reserva sein. Diese Genusskombinationen vermittle ich auch den Mitarbeitenden und Kund:innen an unseren neuen Selgros-Feinkosttheken und als Dozent an der Fleischerschule.

Welchen Schinken sollten Fleischliebhaber mindestens einmal in ihrem Leben gegessen haben?

Diese Frage ist knifflig, da ich mehr als 230 Rohschinken in meinem Skriptum niedergeschrieben habe. Als Cortador sollte man vorrangig spanischem Schinken zugewandt sein, ich gebe aber zu, dass ich neben vielen Schinkenspezialitäten aus Deutschland auch ein paar persönliche Highlights in meiner Favoritenliste habe:

  • 24-monatiger Jamón Serrano de Consorcio del Jamón Serrano Español
  • 36-monatiger 100 % Jamón Ibérico de Pata Negra Bellota
  • 18-monatiger Prosciutto di San Daniele del Friuli
  • 36-monatiger Jambon Porc Noir de Bigorre
  • 12-monatiger Jambon de Mayence (eine Spezialität, die seit 1534 bekannt ist und der auch ein eigenes Lied gewidmet wurde)